Herbst und Winter – alles kommt zur Ruhe – oder doch nicht ?

Inwieweit sind wir als Menschen heute noch mit der so oft bemühten „Mutter Natur“ verbunden, und vor allem wodurch?

Gerade die Sorgen vieler Menschen um den Klimawandel lässt auf den ersten Blick vermuten, dass jenes Band zwischen uns und den vielfältigen Erscheinungen der Natur, der Tier – und Pflanzenwelt, den Gesteinen und Gestirnen, den Ozeanen, dem Wasser, dem Licht und vielen anderen Ausdrucksformen des „Natürlichen“, besonders stark sei. Ja, es gilt als erwiesen, dass jeder Mensch einen eigenen, sogenannten „Biorhythmus“ hat, und dass z.B. ausreichend Schlaf unserer Gesundheit überaus förderlich ist. Und natürlich nutzen wir auch vielerlei Heilpflanzen und alles in allem sind wir von dieser Erde und ihren gesunden Böden absolut abhängig, wenngleich die Nahrungspflanzenproduktion in Hydrokultur weiter stark auf dem Vormarsch ist und sicher in einer nicht zu fernen Zukunft Salate, Tomaten und dergleichen dann das ganze Jahr, unabhängig vom Wettergeschehen, im Supermarkt um die Ecke wachsen.

Dass die Natur in unseren Breiten mit ihren ausgeprägten Jahreszeiten eine deutliche Rhythmik vorgibt, mag sicher auch niemand bestreiten. Es ist vor allem diese Verminderung der Sonneneinstrahlung, die eine starke Wirkung zeigt!

Die Ruhe und die Winterdepression

Mir berichtete neulich ein Kollegin, wie sehr zum Herbst und Winter hin die Zahl der Patienten mit Depressionen in ihrer psychotherapeutischen Praxis ansteige und dass dies kaum noch zu bewältigen sei.

Ich habe hin und wieder den ketzerisch erscheinenden Gedanken, dass nicht alles was Depression genannt wird, auch eine Depression ist. Sind da nicht auch noch die seelisch-geistigen Zustände, die Missstimmung (Dysthymia klingt viel schöner), Melancholie, Innerlichkeit und andere mehr genannt werden, und doch so trefflich zu den natürlichen, sichtbaren Vorgängen passen?

Ja, es fällt vielen Menschen schwer, mit vermehrter Dunkelheit, mit Kälte und – Ruhe umzugehen. Und mit Ruhe bezeichne ich nicht nur den stillen See, die blattlosen Bäume und das – wenn auch nicht ganz verschwundene Vogelgezwitscher….

Ist nicht jetzt die Zeit, um nach innen zu schauen, zu resümieren, einen oder mehrere Blicke auf die Zukunft zu wagen, aber doch vor allem Stille zu pflegen, abseits dieser mitunter sehr penetrant auf uns einwirkenden Außenwelt? Für manchen Menschen ist das kaum auszuhalten, erschüttert ihn geradezu.

Das nachfolgende Gedicht von Rainer Maria Rilke, finde ich, trifft diese Jahreszeit sehr schön:

Herbsttag

Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(Rainer Maria Rilke)

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